Gipfel der G20

Kein Marshallplan für Afrika!

Begrüßung des Vorsitzenden der Afrikanischen Union, Präsident Alpha Conde, durch Bundeskanzlerin Angela Merkel
Es liege an den afrikanischen Regierungen, ob sie sich weiter zu Lasten ihrer Bürger bereichern oder von jahrhundertealter Abhängigkeit durch den Westen lösen wollen, so Arlette-Louise Ndakoze. © imago/Christian Thiel
Von Arlette-Louise Ndakoze · 13.06.2017
Die 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer beraten derzeit in Berlin, wie sie privaten Investitionen in Afrika ankurbeln können. Das Konzept "Marshall Plan mit Afrika" des Entwicklungsministers Gerd Müller schade dem Kontinent aber eher, meint Journalistin Arlette Louise Ndakoze.
Entwicklungsminister Gerd Müller hat eine Mission. Er will die Schokolade retten. Setzt euch für eine gerechte Welt ein und zahlt einen fairen Preis für Schokolade, liebe Bürger! So lautete sein Aufruf in der "Frankfurter Rundschau" Mitte Januar. In der Elfenbeinküste, dem weltweit größten Exportland von Kakaobohnen, bleiben Bauern von ihrer Ernte 50 Cent am Tag, ergänzte der CSU-Politiker. Er verschwieg aber, dass Konsumenten daran nichts ändern werden, solange Großkonzerne den Marktpreis für Kakaobohnen an der Börse bestimmen und Entwicklungsgelder nicht die Weiterverarbeitung im Ursprungsland fördern.

EU zwingt Afrika ausbeuterische Abkommen auf

Der, Zitat, "moralische Kompass", den Müller fordert, führt weg von einer offenkundig doppelmoralischen Entwicklungspolitik. Nachlesen kann man das auf den rund 30 Seiten, in denen er seine "Eckpunkte für einen Marshallplan mit Afrika" vorstellt. Der Plan setzt auf mehr Investitionen europäischer Unternehmen, und zwar in die Landwirtschaft, die Industrie und die Energieerzeugung.
Darin prangert das Entwicklungsministerium die Ausbeutung von Menschen und Ressourcen an, unterschlägt aber, dass die EU seit 15 Jahren afrikanischen Staaten ausbeuterische Abkommen aufzwingt. Die bilateralen Verträge unter dem Namen "Economic Partnership Agreements" - übersetzt: Wirtschaftspartnerschaftsabkommen - fordern eine weitgehende zollfreie Marktöffnung auch für umweltschädliche europäische Produkte wie Pestizide und Atomkraftwerke. Bei Nicht-Unterzeichnung setzt die EU den sogenannten Handelspartner unter Druck mit Zöllen auf für ihn wichtige Importgüter wie Thunfisch und Kakaoprodukte. Einige afrikanische Staaten fordern mindestens eine Exportsteuer auf Rohstoffausfuhren, was die EU jedoch ablehnt.

Profit für deutsche Märkte - Einbruch afrikanischer Märkte

Auch den Infrastruktur-Ausbau afrikanischer Länder wollen sich europäische Firmen sichern. Welche Rolle den afrikanischen Staaten dabei zukommt, hat etwa Stefan Liebing, Vorsitzender des "Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft", klar gesagt. Zitat: "Es bedeutet, dass wir die Möglichkeit haben, dort vergleichsweise günstig Arbeitskräfte zu finden für Produktionsanlagen und Investitionen, und wir sehen zunehmend, dass die Qualifikation steigt." Qualifizierte plus günstige Arbeitskraft gleich Profit für deutsche Märkte gleich Einbruch afrikanischer Märkte. Ein Marshallplan würde versuchen, afrikanische Kleinbauern über Wasser zu halten, die durch die bilateralen Wirtschaftsabkommen bereits ertränkt wurden.
Doch dieser düsteren Entwicklung schiebt die deutsche Entwicklungspolitik keinen Riegel vor. Mit erhobenem Zeigefinger bemüht sich der Entwicklungsminister ständig, das verzerrte Bild eines armen Afrika geradezurücken, und betont: Der Marschallplan verstehe sich als einen Plan mit und nicht für Afrika. Als könnten Präpositionen falsche Voraussetzungen für Investitionen ersetzen. Es geht weder um einen Marshallplan mit noch für Afrika. Es geht um einen Marshallplan gegen Afrika.

Afrika eigene Zukunftspläne machen lassen

Will der Entwicklungsminister den Wohlstand Afrikas ernsthaft fördern, müsste er vom Investitionsvorhaben abrücken, solange Afrika von seinem großen Bodenschatz nicht selbst profitiert. Er müsste die afrikanischen Zivilgesellschaften ihre eigenen Zukunftspläne machen lassen, und danach seinen moralischen Kompass neu justieren. Aber davon ist nicht auszugehen.
Es liegt jetzt an afrikanischen Regierungen, sich zu entscheiden: ob sie sich weiter zu Lasten ihrer Bürger bereichern oder von jahrhundertealter Abhängigkeit durch den Westen lösen wollen. Derweil werden EU-Länder über die Toten im Mittelmeer hinweg weiter ihren ökonomischen Kreuzzug nach Afrika führen. Im Namen des Vaters, des Sohnes, und der heiligen Schokolade.

Arlette-Louise Ndakoze, 1983 in Burundi geboren, studierte Frankreichwissenschaften in Berlin und Ruanda und lebt und arbeitet als freie Journalistin in Berlin.

Arlette-Louise Ndakoze, freie Journalistin
© Clara Morales Benito
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