Wohnhaus des Alt-Kanzlers soll Museum werden

Zuhause bei Helmut und Loki Schmidt

Der Schreibtisch von Helmut Schmidt.
Der Schreibtisch von Helmut Schmidt - von hier aus wirkte er als Publizist. © Steffen Hofemann
Von Axel Schröder · 26.04.2018
Im Wohnhaus von Helmut Schmidt in Hamburg-Langenhorn wird derzeit alles inventarisiert, jeder Kugelschreiber, jede Schnupftabakdose und jedes Mitbringsel von Staatsgästen. Ab dem kommenden Jahr soll das Haus des Altkanzlers als Museum fungieren.
Die unscheinbare, winzige Polizeistation neben dem Stahlgittertor ist schon lange nicht mehr besetzt. Über dem Klingelknopf ist ein angelaufenes Messingschild mit dem Namen des einstigen Bewohners angebracht: "Helmut Schmidt". Ulfert Kaphengst, der Sprecher der Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung, öffnet die Tür. Führt durch den Flur und die Halle ins Wohnzimmer:
"Das Wohnzimmer, wo auf dem Sofa zum Beispiel schon Staatsgäste wie Giscard d’Estaing oder Leonid Breschnew gesessen haben, die hier zu Besuch waren im Privathaus der Schmidts. Das Haus, so ist es auch von den Eheleuten gewollt, ist einer Stiftung vermacht worden, die Stiftung hat auch das Bestreben, das Haus so komplett zu erhalten, mit dem gesamten Inventar. Das heißt, es wird in seinem ursprünglichen Zustand erhalten bleiben und für die Nachwelt bewahrt. So, als ob die Schmidts gerade übers Wochenende in ihrem Ferienhaus am Brahmsee wären."

Bücher, Gemälde und "Ottis Bar"

Vor den Panoramascheiben zum Garten steht ein schwarzer Flügel, über zwei Wände sind Bücherregale voller Kunstbände angebracht, darüber hängen Landschaftsgemälde in Öl. Gleich daneben, in einem kleineren Raum, ist die Hausbar untergebracht. "Ottis Bar".
"Ottis Bar wurde benannt nach einem der Sicherheitsbeamten von Herrn Schmidt, Otti Heuer, der hier dann, wenn man sich hier getroffen hat, die Funktion des Barkeepers übernommen hat. Hier hängt eine Laterne, ein Schiff, hier hängt das Gebiss eines Hais, dann hängt hier zum Beispiel ein Morgenstern oder irgendwelche Masken, Knoten, auch ein Bild."
Der Geschichtsstudent Hendrik Heetlage inventarisiert im Rahmen seiner Masterarbeit das gesamte Wohnhaus der Schmidts.
"Es wird hier auch so laufen, dass wir alles, was nicht festgenagelt ist und nicht anders klassifiziert werden kann, einfach ein Foto vorher machen, damit wir wissen, wie es stand, wo es stand, dann wegnehmen. Von Objekten machen wir dann ein Bild, beschreiben es – tatsächlich auch die Schnapsflaschen, jedes einzelne Glas. Dann bekommt jedes einzelne Glas eine Nummer und dann stellen wir es wieder zurück."

Seinen spartanischen Arbeitsplatz hat der Student vor dem Kamin. Ein Tisch, eine Digitalkamera, ein Laptop. In dem dann sehr genau verzeichnet wird, welches Objekt an welchem Ort wie steht. Zum Beispiel ein Tablett in "Ottis Bar":
"‘Tablett mit Flaschen und Schnapsgläsern‘. Dann gibt es nochmal eine etwas detailliertere Beschreibung: ‚Silbertablett mit zwei Griffen und Einprägung auf der nach oben zeigenden Seite'; ‚Rencontre en Guadeloupe, le 5, 6 et 7 Janvier 1970‘. Acht Schnapsgläser, Gläser mit Goldrand, zum Teil mit Aufdruck auf dem Glasboden: ‚Golden Wind, Glück auf‘. Martini Rosso, Baileys, Glen Talloch Whisky, Porto Nipoort Tawny, mit unterschiedlichen Füllhöhen‘."
Das Wohnhaus von Helmut und Loki Schmidt
Zahlreiche Gemälde und Bücher - darunter auch Originalausgaben von Immanuel Kant, Adam Smith oder Karl Popper - müssen inventarisiert werden.© Steffen Hofemann

Ist das Kunst?

Nicht alle Gegenstände haben sich dem Studenten sofort erschlossen. Lange hat er gerätselt, was es mit dem geschmiedeten Stahlteil zwischen zwei Platten mit Versteinerungen an einer der Wände im Wohnzimmer auf sich hat. Ist das Kunst? Und wenn ja, von welchem Künstler?
"Das war eine blöde Nummer. Sehr, sehr kurios. Wir haben uns eben gefragt, weil das ja auch in einer Reihe hängt, was für eine Art Objekt es sein kann. Wir wussten es nicht. Wir dachten, es hätte irgendetwas mit einem Stallgeschirr zu tun. Bis uns dann die sehr nette Haushälterin darauf hingewiesen hat, dass das doch die Kaminklappe ist, um den Kamin zu öffnen."
Beim Wohnzimmer steht Hendrik Heetlage noch ganz am Anfang, hat gerade die bronzenen Hühnerskulpturen fotografiert, nummeriert und in die Inventarliste aufgenommen.
Abgeschlossen ist die Bestandsaufnahme in Helmut Schmidts Arbeitszimmer im ersten Stock. Hier finden sich Originalausgaben von Immanuel Kant, Adam Smith oder Karl Popper in den Regalen. Auf dem breiten Eichenschreibtisch liegen die grünen Stifte, mit denen der Altkanzler und spätere Herausgeber der "Zeit" sich Notizen machte oder Anmerkungen auf Manuskripte schrieb. Jeder einzelne mit Inventarnummer versehen.
"Ich weiß gar nicht, wie es während der Kanzlerschaft aussah. Hier hat er hauptsächlich danach gearbeitet und war ja immer noch sehr wirkmächtig als Publizist. Deshalb war es sehr komisch, in so einem Raum zu sein, wo man quasi noch so ein bisschen diese Aura spürt."

Die Aura der Schmidts wirkt bis heute

Der kantige, lederne Bürostuhl war für ihn auf jeden Fall tabu:
"Den Stuhl musste ich natürlich umdrehen, um die Nummer anzubringen. Aber draufgesetzt habe ich mich nicht. Das empfand ich auch tatsächlich – ist sehr komisch – als anmaßend. Aber diese Art von Respekt ist mir auch selbst ein bisschen suspekt. Schwer zu beschreiben. Aber ich fand es unangemessen, mich da hinzusetzen und da die Arbeit zu machen."
Auf einem niedrigen Tisch vor der Arbeitsplatte findet sich eine aufgeklappte Schatulle, gefüllt mit Menthol-Zigaretten, daneben wieder ein Aschenbecher. Hinter dem Schreibtisch eine abschließbare Glasvitrine, deren Inhalt Hendrik Heetlage mit Akribie und Ehrfurcht untersucht hat.
"Wenn ich mich recht erinnere, hat Herr Schmidt hier zu Lebzeiten anderen Personen verboten, da ranzugehen oder auch nur es sauber zu machen. Und wir sehen vor allem sehr viele Münzen, aber auch viele Schnupftabakdöschen, Fläschchen, viele Snuff-Bottles aus China. Dann sehen wir hier eine 'Medal of Friendship' von George Shultz. Und auch sein berühmtes Schachbrett, was er in der Kriegsgefangenschaft allein oder mit Kameraden zusammen geschnitzt hat. Das ist schon ganz spannend!"

Aber nicht nur die augenscheinlich wichtigen oder wertvollen Gegenstände werden in Hendrik Heetlages Computerprogramm eingepflegt, sondern wirklich alles. Sogar das noch gefaltete Papiertaschentuch auf einem kleinen Beistelltisch:
"Dazu gehört auch, dass da ein Teelicht steht, dass da seine Mundpastillen liegen, dass da ein Taschentuch liegt. Und auch das Taschentuch wurde inventarisiert. Oder diese beiden Gartenscheren zum Beispiel. Das ist dann einfach so. Das lag hier so, als wir angefangen haben und deshalb bleibt es dann auch so."
Zigarettenschatulle von Helmut Schmidt
Helmut Schmidt ohne Zigarette? Kaum vorstellbar.© Steffen Hofemann

"Man kann hier keine Busladungen durchschieben"

Im Spätsommer wird Hendrik Heetlage das gesamte Haus der Schmidts vermessen haben. Dann kann die sogenannte Provenienzforschung beginnen: Wie fanden die Dinge ihren Weg in die Regale und Vitrinen? Von welchen Staatsgästen stammt welches Präsent? Welche politischen Verbindungen in welchen Ländern hatte Helmut Schmidt?
Aber nicht nur der Wissenschaft, sondern auch der Allgemeinheit soll das Wohnhaus der Schmidts offen stehen. Wenn auch nur in begrenzten Rahmen, erklärt Ulfert Kaphengst von der Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung:
"Es ist ja ein ganz normales Wohnhaus in einer ganz normalen Wohnsiedlung. Insofern wird es hier in begrenztem Umfang Führungen geben. Wahrscheinlich ab Mitte nächsten Jahres. Aber auch nur in kleinen Gruppen. Man kann hier halt keine Busladungen durchschieben durch dieses Haus.
Zum einen würde das Inventar darunter leiden und zum anderen ist das Haus dafür nicht gebaut. Und es ist geplant, in diesem Haus hier kleinere Veranstaltungen zu machen, Diskussionsveranstaltungen wie die 'Freitags-Gesellschaft', die dann entsprechend elektronisch im Netz übertragen werden als Podcast."
Bis dahin sei aber noch eine Menge zu tun, erklärt Hendrik Heetlage, der sich mittlerweile wie kein Zweiter im Haus der Schmidts auskennt. Falls dort eine Glühbirne durchbrennen sollte, wüsste er sofort: Eine neue findet sich oben im Arbeitszimmer, gleich links hinter der Tür, zweite Schublade von oben.
Mehr zum Thema